Hexe von Camin: Die Sage der Hexentannen & ein Verdacht

🌲 Die Hexe von Camin: Das dunkle Geheimnis der „Hexentannen“

Flurnamen sind oft wie Narben in der Landschaft. Sie erinnern an Ereignisse, die längst vergessen wären, wenn der Name des Ortes sie nicht bewahrt hätte. Wer auf der Karte zwischen den mecklenburgischen Dörfern Camin und Dodow (bei Wittenburg) sucht, stößt auf ein kleines Waldstück mit einem unheimlichen Namen: „Die Hexentannen“ (im Volksmund Hexendannen).

Warum heißt dieser Ort so? War es ein Richtplatz? Oder nur ein Ort dunkler Sagen? Ich habe mich auf Spurensuche begeben und bin auf eine Geschichte gestoßen, in der Aberglaube und eine mögliche historische Tragödie verschmelzen.

🔥 Die Sage: Der letzte Gang der Hexe

Mitte des 19. Jahrhunderts berichtete ein Vogt namens Bohn aus dem nahen Demern von einer Geschichte, die er noch von seinem Großvater gehört hatte. Demnach trieb in früherer Zeit eine „bitterböse Hexe“ in Camin ihr Unwesen.

Ihr wurden die klassischen Vergehen der damaligen Zeit zur Last gelegt:

„Der Eine konnte von dem schönsten Rahm nicht buttern,

dem Anderen fraß die Sau die Ferkel auf und noch vieles mehr.“

Als das Maß voll war, wurde sie zum Feuertod verurteilt. Doch selbst auf ihrem letzten Gang zeigte sie ihre Macht. Der Scheiterhaufen war an der Grenze zu Dodow errichtet worden – genau dort, wo heute die „Hexentannen“ liegen. Auf dem Weg dorthin kam sie an Knechten vorbei, die auf den Feldern pflügten. Aus Rache verhexte sie die Pflüge, sodass die Arbeit den ganzen Tag stillstand.

🛡️ Der Schutz des Kreuzdorns

Doch einen Knecht konnte ihr Fluch nicht treffen. Er pflügte ungestört weiter. Der Grund? Er hatte ein Stück Kreuzdorn (Rhamnus cathartica) in seinen Pflug eingearbeitet.

Dieses Detail ist volkskundlich hochinteressant: Der Kreuzdorn gilt seit Ewigkeiten als mächtige Schutzpflanze gegen Schadzauber und Hexerei. Die Hexe soll darüber laut geklagt haben, dass ihre Macht an diesem Holz zerschellte.

⚖️ Spurensuche: Sage vs. Realität

Der Erzähler, Vogt Bohn, berichtete dies um 1850. Rechnet man die Generationen zurück (sein Vater * ca. 1780, sein Großvater * ca. 1750), landen wir in einer Zeit, in der die großen Hexenprozesse eigentlich schon abklangen.

Doch in den Archiven findet sich eine Spur, die frösteln lässt. Im Jahr 1700 – also gut zwei Generationen vor dem Großvater des Erzählers – wurde im Nachbardorf Dodow tatsächlich ein Mädchen angeklagt. Sie war erst 14 Jahre alt, ein Waisenkind und eine Bettlerin.

Ihr Schicksal ist in den Akten nur teilweise erhalten: Sie wurde zur Kirchenbuße verurteilt. Doch die Rostocker Juristen befahlen zusätzlich etwas Grausames: Man sollte ihre „Hexenmale“ mit Stecknadeln probieren (die sogenannte Nadelprobe), um ihre Schuld zu beweisen.

🕯️ Legende oder Echo?

Ist die „böse Hexe“ aus der Sage in Wahrheit dieses arme 14-jährige Kind gewesen? Es ist gut möglich, dass die Geschichte über die Jahrzehnte „aufgebauscht“ wurde. Aus dem armen Waisenkind, das vielleicht aus Not bettelte oder stahl, wurde in der Erzählung am Kaminfeuer die mächtige Hexe, die Pflüge stoppte und Ferkel verfluchte.

Vielleicht ist der Flurname „Hexentannen“ das letzte Denkmal für dieses Mädchen oder eine andere Unglückliche, die dort an der Grenze zweier Dörfer ihr Leben lassen musste. Es bleibt ein Ort, der zum Nachdenken anregt – über die Macht von Geschichten und die Wahrheit, die oft viel trauriger ist als die Legende.

Die Hexentannen (blau angemarkert). Unten das Dorf Camin | ©KP