Ahnenforschung

Was war ein Freimacher?

Der giftige Fingerhut | ©KP

 

Im 19. Jahrhundert gab es Menschen, die man als „Freimacher“ bezeichnete. Ihre Aufgabe war es, wehrpflichtige Männer absichtlich krank zu machen, damit diese vom Militärdienst verschont blieben. Häufig kam dabei der Rote Fingerhut (Digitalis purpurea) zum Einsatz, eine Pflanze, die wegen ihrer herzwirksamen, aber hochgiftigen Eigenschaften bekannt ist. Sie wurde meist in Form von Pillen verabreicht, um Symptome zu erzeugen, die den Männern ein untaugliches Erscheinungsbild verliehen.

Ein dokumentierter Fall aus dem Jahr 1875 ereignete sich in Nordrhein-Westfalen: Ein Gastwirt reichte zwei wehrpflichtigen Männern jeweils 100 Pillen aus Roten Fingerhut. Ziel war es, sie so krank wirken zu lassen, dass sie bei der Musterung abgelehnt würden. Doch die Sache nahm eine tragische Wendung. Drei Tage nach der Einnahme starb einer der Männer – vermutlich an einer Überdosis, die sein Herz zum Stillstand brachte. Der andere überlebte, litt jedoch unter schweren Vergiftungserscheinungen: heftige Magenschmerzen, ein stark verlangsamter Puls, Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindel plagten ihn. Zeitgenössischen Berichten zufolge klagte er zudem über Mundgeruch und eine stark belegte Zunge – typische Anzeichen einer Digitalis-Vergiftung. Seine Beschwerden hielten drei Wochen an, doch er erholte sich letztlich.

Der Gastwirt, der als Freimacher agiert hatte, entging seiner Verantwortung nicht. Die Behörden verurteilten ihn zu einer empfindlichen Geldstrafe und einer fünfjährigen Gefängnisstrafe. Solche Praktiken waren im 19. Jahrhundert nicht unüblich, da die Wehrpflicht für viele junge Männer eine enorme Belastung darstellte. Neben dem Roten Fingerhut wurden auch andere Methoden wie Selbstverstümmelung oder das Vortäuschen psychischer Erkrankungen angewandt, um der Einberufung zu entgehen. Der Fall des Gastwirts zeigt jedoch, wie gefährlich und unberechenbar der Einsatz von Giftpflanzen sein konnte – ein riskantes Spiel mit Leben und Tod, das nicht selten tödlich endete.