⛪ Das Kalkwunder von Camin: Vom schwarzen Pferd & der weißen Erde
Nur zwei Wegstunden von Wittenburg entfernt liegt das Kirchdorf Camin. Wer heute vor der dortigen Kirche steht, ahnt nicht, dass ihr Bau einst auf Messers Schneide stand – und nur durch ein wundersames Ereignis im Wald gerettet wurde.
Die Sage erzählt, dass den Baumeistern damals das wichtigste Bindemittel ausging: Der Kalk. Die Vorräte waren erschöpft, die Bewohner in großer Verlegenheit. Man war kurz davor, den Bau der Kirche ganz aufzugeben und das Gotteshaus unvollendet zu lassen.
🌲 Der Fund im Grenzwald
Die Rettung kam durch einen Zufall – oder Fügung. Ein Einwohner war auf dem Weg zum Nachbardorf Goldenbow. Sein Pfad führte durch den Wald, der die Feldmarken beider Dörfer schied. Dort, mitten im Dickicht, traute er seinen Augen nicht: Er fand große Massen von feinstem, bereits gebranntem Kalk, der einfach auf der Erde lag.
Das ganze Dorf eilte hinaus, um das Wunder zu sehen. Und sie fanden nicht nur den Kalk. An einem Baum festgebunden stand ein kleines, schwarzes Pferd. Es wartete ruhig, als hätte es nur darauf gewartet, eingespannt zu werden.
🧱 Ein Geschenk auf Zeit
Die Caminer verstanden den Wink: Dieser Kalk war ihnen beschert, und das Pferd war dazu bestimmt, ihn zum Dorf zu schaffen. Das Seltsame war die Menge. Egal wie viel sie abtrugen, beim Nachgraben fanden sie immer mehr Kalk unmittelbar unter der Grasnarbe. Es war genau genug.
Denn als die letzte Steinreihe gesetzt und die Kirche vollendet war, geschah das Zweite Wunder: Als die Bauern später zurückkehrten, um Kalk für ihre eigenen Häuser zu holen, war keine Spur mehr davon zu finden. Die Erde hatte sich geschlossen. Die Gabe war nur für das Heiligtum bestimmt gewesen.
🐴 Das seltsame Begräbnis
Die Bewohner zeigten sich dankbar. Sie behielten das kleine schwarze Pferd, das so treu die schweren Lasten gezogen hatte. Sie pflegten und fütterten es bis an sein natürliches Lebensende.
Doch was dann geschah, erinnert an uralte Bräuche, die weit vor das Christentum zurückreichen: Nach seinem Tod zogen sie dem Tier die Haut ab. Sie bauten ein hölzernes Pferd, überzogen es mit der Haut des treuen Helfers und vergruben dieses vor der Kirchentür. So wurde das Pferd zum ewigen Wächter der Schwelle – ein Bauopfer im positiven Sinne.
🧙♀️ Der Schatten des Dorfes: Die Hexe
Camin scheint ein Ort zu sein, an dem die Grenzen zwischen den Welten dünn sind. Denn nicht weit von der Kirche, an der Grenze zu Dodow, liegt ein Ort mit einem weitaus dunkleren Namen: „Die Hexentannen“.
Die Legende berichtet, dass dort einst eine Hexe ihren letzten Gang zum Scheiterhaufen antrat. Anders als das hilfreiche Pferd, das den Bau förderte, soll sie versucht haben, das Werk der Bauern zu zerstören, indem sie die Pflüge der Knechte verhexte. Die ganze Geschichte zur Hexe von Camin und dem historischen Kern von 1700 lest ihr in meinem Artikel: Hexe von Camin: Die Sage der Hexentannen & ein Verdacht
So liegen in Camin Licht und Schatten, Segen und Fluch, nur wenige Schritte voneinander entfernt.

