Was bedeutet adelsfrei? Kirchenbuch-Rätsel & Kulmer Recht

📜 Was bedeutet „adelsfrei“? Ein Rätsel im Kirchenbuch von 1778

Wer alte Kirchenbücher liest, stolpert oft über Begriffe, die heute längst vergessen sind. Bei meiner Familienforschung in Goldap (Ostpreußen) stieß ich im Jahrgang 1778 auf einen solchen Vermerk, der mich sofort stutzig machte.

Es war der Heiratseintrag von meinen 4 x Urgroßvater Daniel Moritz und seiner ersten Frau Dorothea Zaborowski. Bei den Vätern der Brautleute stand nicht etwa „Bauer“ oder „Gärtner“, sondern das prädikatvolle Wort: „adelsfrei“.

Bedeutete das, dass meine Vorfahren zum Adel gehörten? Oder dass sie verarmte Aristokraten waren? Die Antwort führt uns tief in die Sozialgeschichte Ostpreußens und das Kulmer Recht.

Bedeutung des Begriffs adelfrei
Der dritte Eintrag von oben gesehen. Dort steht bei der Ehe von Daniel Moritz und Dorothea Zabarowski ihre Väter als adelsfrei | ©CG

⚖️ Der Status: Köllmer & Freibauern

Der Begriff taucht in diesem Kirchenbuch mehrfach auf. Bei genauerem Hinsehen fällt auf: Er steht fast immer bei Menschen, die in sogenannten köllmischen Dörfern lebten – wie Regellen, dem Herkunftsort von Daniel und Dorothea.

Hier liegt der Schlüssel: Diese Menschen waren keine Leibeigenen. Sie waren Köllmer (oder Cöllmer). Das waren Freibauern, die besondere Privilegien genossen. Ihr Status basierte auf der Kulmer Handfeste von 1233, einem Gesetz des Deutschen Ordens, das Landbesitz und Freiheit regelte.

🚫 Frei VON, nicht TEIL VON

Die Lösung des Rätsels ist eigentlich eine sprachliche Feinheit: „Adelsfrei“ bedeutet nicht, dass man adelig ist. Es bedeutet, dass man frei von der Herrschaft des Adels ist.

Im Mittelhochdeutschen hieß es „adelvri“. Während der Großteil der bäuerlichen Bevölkerung unter der Knute adliger Gutsherren stand, Frondienste leisten musste und an die Scholle gebunden war, waren die „Adelsfreien“ ihre eigenen Herren.

  • Sie besaßen ihr Land oft selbst (oder zu sehr guten Bedingungen).
  • Sie waren von den drückendsten Abgaben befreit.
  • Sie mussten oft weniger oder gar keine Scharwerksdienste (Zwangsarbeit) leisten.

🎩 Ein feiner Unterschied im Kirchenbuch

Dass dieser Status etwas Besonderes war, sieht man auch an der Tinte des Pfarrers. Personen, die „adelsfrei“ oder Köllmer waren, wurden in den Akten oft respektvoll mit „Herr“ oder „Frau“ tituliert. Den einfachen Bauern, die unter der Last der Abgaben standen, gönnte man diese Anrede meist nicht – sie wurden nur mit ihrem Namen notiert.

🕯️ Fazit: Ein Privileg der Freiheit

Wenn du also in deinen Unterlagen auf „adelsfrei“ stößt, freue dich! Deine Vorfahren waren zwar keine Grafen oder Barone, aber sie waren etwas vielleicht noch Wichtigeres: Freie Menschen in einer Zeit der Abhängigkeit. Sie waren die Elite der Bauernschaft, die stolz auf ihren Status waren.

Regellen war ein adeliges köllmisches Freidorf
Regellen, woher Daniel und Dorothea kamen, war ein adeliges köllmisches Freidorf | ©CG